Das Universalprojekt „Humboldt Forum“ nimmt in Berlins Mitte deutlich Schlossgestalt an. Bis zur Eröffnung gibt die Humboldt-Box einen Vorgeschmack auf den künftigen Kosmos der Weltkulturen. Stadtrundfahrt-Autorin Ariane war drin und findet: Lohnt sich!
Viel wurde bisher gesagt, geschrieen und geschrieben zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses und seiner künftigen Bestimmung als Humboldt Forum. Von euphorischen Heureka- bis wütenden Buh-Rufen ist alles drin im öffentlichen Gefühlshaushalt. Letztere galten von Anfang an sowohl dem Bau an sich mit der rekonstruierten Schlossfassade („reaktionär!“) als auch der inhaltlichen Konzeptionierung, die unter anderem den Umzug der außereuropäischen Sammlungen aus den Dahlemer Museen ins künftige Schloss bedeutet („neo-kolonialistisch!“).
Seit Anfang Januar ist der Umzug der Sammlungen beider Dahlemer Museen, des Ethnologischen Museums sowie des Museums für Asiatische Kunst, in vollem Gange, und bis zur geplanten Eröffnung des Humboldt Forums im Berliner Schloss 2019 sind noch gut zwei Jahre Zeit. Bis dahin wird die Humboldt-Box, das 2011 an der Schlossbaustelle als temporäres Ausstellungsgebäude errichtete „Informations-Center zum Humboldtforum“, mit wechselnden Themen-Ausstellungen „bespielt“, wie es im Kuratoren-Jargon heißt. Besucher sollen so einen Vorgeschmack auf das Humboldt Forum bekommen, eine Idee davon, was später im Schloss vor sich gehen wird.
Das Humboldt Forum will den Geist der berühmten Forscher-Brüder von Humboldt (des Naturforschers Alexander und des Sprachforschers Wilhelm) wiederbeleben. Ein Ort des Austauschs zwischen Menschen, Kulturen und Disziplinen soll es werden, „ein neues kulturelles Stadtquartier in der Mitte der Stadt“. Man will unterschiedliche Kulturen und Perspektiven zusammenführen und nach neuen Erkenntnissen zu aktuellen Themen wie Migration, Religion und Globalisierung suchen. Die Welt soll im Sinne der Humboldts als Ganzes gesehen werden. Fremde Kulturen, ihre Lebensweisen und kulturellen Hervorbringungen werden nicht länger als museale Kuriositäten exotisiert, sondern man wird Fragen an sie stellen – auch im Hinblick auf drängende Probleme der globalen Gegenwart. Experten aus indigenen Völkern werden als Ratgeber und als Kuratoren agieren, nicht nur, aber auch um die Biografien der einzelnen Sammlungsobjekte erzählen zu können.
Bibbernd stehen wir jetzt vor der Humboldt-Box. Keine Gebühren, keine Schlange, also schnell nach oben! Wir erklimmen die leuchtende Treppe, und erst als wir, oben angekommen, die Glastür passiert haben, sind die Nebelschwaden, die laufend vor unseren Gesichtern herum getanzt sind, plötzlich verschwunden. Hier, auf der ersten Etage, informiert der Förderverein Berliner Schloss e.V. über die Geschichte des Berliner Schlosses und des Schlossplatzes, die Rekonstruktion der barocken Fassaden und die Bauplanung des Architekten Franco Stella – nicht zuletzt, um vor Ort Spendengelder zu akquirieren. Den meisten Raum nimmt ein maßstabgetreues Modell vom historischen Schloss-Areal ein.
Auf der zweiten und dritten Etage läuft gerade die Ausstellung „Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom“. Sie wurde im November 2016 eröffnet und bildet den Auftakt zu einer Ausstellungsreihe, die, verbunden mit diversen Veranstaltungen in der ganzen Stadt – Filmen, Vorträgen und Gesprächen mit Personen aus Wissenschaft, Kunst, Publizistik, Religion, Politik und Wirtschaft – das Humboldt Forum schon während der Bauphase präsent werden lässt.
Treppauf kommen wir ins 2. OG, zur Ausstellung „Extreme!“. Wir werden von einem riesigen Fisch-Schwarm empfangen, der auf einer überlebensgroßen Video-Installation schwimmt. Ich bleibe ein paar Atemzüge vor diesem meditativen Unter-Wasser-Spektakel stehen. Fast hätte ich es geschafft, einzutauchen und Teil des Schwarms zu werden, doch plötzlich wechselt die Szenerie, und der Ozean hat sich in eine hitzeflirrende Wüstenlandschaft verwandelt.
Extreme Kontraste, erfahren wir, sind am Humboldtstrom (früher: Perustrom) an der Tagesordnung. Alexander von Humboldt hat die kalte Meeresströmung vor Perus Küste erstmals vermessen. Ihr nährstoffreiches Wasser sorgt dafür, dass hier besonders viele Fische leben. Gleichzeitig zählt die Küstenlandschaft, die Atacamawüste, zu den trockensten Wüsten weltweit. Beim Gang durch die Ausstellung sehen wir anhand archäologischer Objekte und Funde aus der Pflanzen- und Tierwelt – teils von Alexander von Humboldt persönlich gesammelt! – immer wieder, wie Menschen, Tiere und Pflanzen sich an diese extreme Umwelt angepasst haben. Die Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur sind am Humboldtstrom besonders eindrucksvoll.
Das Highlight der Ausstellung ist sicherlich das Totenbündel (auch: Mumienbündel) aus Chuquitanta, Peru. Rätselhaft thront die seltsame Gestalt in einem schummrig beleuchteten Kubus aus Glas, starrt uns an und zeigt ihre Zähne. Auf dem Kopf trägt sie Federschmuck und um den dicken Bauch eine Art Gürtel, an dem allerhand befestigt ist: Muscheln, eine Holzfigur, ein Netz mit Maiskolben, zwei Stoffpüppchen… Das durch die extreme Trockenheit gut erhaltene Totenbündel stammt aus einer Zeit zwischen 900 und 1470 n.Chr., genauer kann man es trotz mehrfachen Untersuchens nicht sagen. Röntgenaufnahmen zeigen, dass in seinem Inneren die sterblichen Überreste eines ca. 165 cm großen erwachsenen Mannes wohnen. Die Sammlungsgeschichte des Bündels wird ebenso erklärt wie Sinn und Zweck eines solchen Totenbündel-Rituals.
Eine Etage weiter oben, im 3. OG, geht es um den Müll im Meer, der durch Strömungen wie den Humboldtstrom um den Globus transportiert wird, und um die katastrophalen Auswirkungen vor allem des Plastikmülls auf die Meeresorganismen. Ein Eissturmvogel aus dem Nordfriesischen Wattenmeer – ein Tierpräparat des Museums für Naturkunde – sitzt in einer Vitrine, neben ihm ein Schälchen voll Mikroplastik, das im Magen des toten Tiers gefunden wurde. „Der Mageninhalt von toten Eissturmvögeln ist inzwischen ein anerkannter Nachweis für den Verschmutzungsgrad unserer Meere“, liest man. Und: „Wäre der Eissturmvogel so groß wie ein Mensch und würde ca. 70 Kilogramm wiegen, hätte er durchschnittlich 33 Gramm Plastik im Magen.“ An einer gläsernen Theke kann man mit einem Scanner verschiedene Arten von Müll scannen und erfährt so, wie lange etwa eine Plastikflasche, eine Zeitung, eine TetraPak-Verpackung oder eine Bierdose brauchen, um vollständig abgebaut zu werden. Für Kinder gibt es ein hübsch gestaltetes kostenloses „Forschertagebuch“ zum Mitnehmen, das sie während des Ausstellungsbesuchs befüllen können – oder auch beim anschließenden Besuch des Cafés im 5. Stock, das leider schon geschlossen hat, als wir mit dem Aufzug oben ankommen. Doch für die Panorama-Terrasse ist es ohnehin zu kalt, und so machen wir uns nach zwei sehr lohnenswerten Stunden in Humboldts Welt wieder an den Abstieg.
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Die Humboldt-Box erreicht man auch mit der Stadtrundfahrt durch Berlin. Dank Hop On Hop Off steigt man an der Haltestelle „Lustgarten / Humboldt Box“ aus, um sich die Ausstellungen in Ruhe anzuschauen, und später die Fahrt wieder aufzunehmen.
10178 Berlin
Dez – Feb 10-18 Uhr
Mär – Nov 10-19 Uhr