Unsere Autorin Ariane nimmt uns mit auf einen Rundgang durch die Kunst des 19. Jahrhunderts.
Was ist los? Bin ich blind? Wo ist mein Mönch am Meer? Als ich mal eine Jahreskarte für die Staatlichen Museen zu Berlin besaß, bin ich öfter hier her gekommen, in die Alte Nationalgalerie, nur um den Mönch zu besuchen. Weil ich finde: Wenn ein Bild schon mal zu mir spricht, dann muss ich mir auch Zeit nehmen und ihm zuhören. Da kann und will ich nicht – „interessant, interessant“ – weitergehen, als wäre nichts. Einfach übergehen zum nächsten und übernächsten Exponat und so jede Wirkung im Keim ersticken. Damit bloß nichts passiert.
Das Tolle am Verweilen vor einem Kunstwerk ist ja zudem, dass man auf das, was da vor einem steht, liegt oder hängt, gemeinsam mit anderen Leuten, aber mit jeweils eigenen Augen blickt. Leute kommen und gehen, und manchmal passiert es eben, dass zwei bleiben, während die anderen weiterziehen. Dann kommt man vielleicht ins Gespräch oder auch nicht, aber jedenfalls teilt man für einen kurzen oder langen Moment das echte Interesse an genau diesem Stück Kunst.
Die Alte Nationalgalerie mit ihren Schätzen des 19. Jahrhunderts ist voll von geheimen und prominenten Stars. Mitten auf der Berliner Museumsinsel beherbergt sie wichtige Werke aus Klassizismus, Romantik, Biedermeier, Impressionismus und beginnender Moderne. Eine Mitarbeiterin hat mir am Eingang einen Lageplan gereicht und auf meine Anfrage hin die „Highlights“ mit Kreuzchen eingezeichnet.
Meistbesucht sind demnach die Räume zu Caspar David Friedrich und Karl Friedrich Schinkel, die französischen Impressionisten – allen voran Claude Monet und Camille Pissarro –, die Stillleben Edouard Manets und Paul Cézannes, die Plastiken von Auguste Rodin sowie die Gemälde Max Liebermanns und der Düsseldorfer Schule, das berühmte Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen des Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow, meist schlicht Prinzessinnengruppe genannt, sowie die Räume mit teils unfertig gebliebenen Gemälden Adolph Menzels.
„Ich empfehle Ihnen, oben anzufangen. So ist die Reihenfolge.“ Tatsächlich sind die Romantiker im obersten Stockwerk, nach unten hin wird es immer moderner.
Ich lasse mir das Emporschreiten auf rotem Teppich inklusive Raumpanorama nicht durch den Fahrstuhl nehmen und bevorzuge die weite Marmortreppe, die um die Eingangshalle herum nach oben führt. Im dritten Stock angekommen, werde ich von einem wuchtigen, marmornen Grabmal empfangen. Es ist das Grabmal des Grafen Alexander von der Mark, von Johann Gottfried Schadow geschaffen und 1790 in der Dorotheenstädtischen Kirche in Berlin errichtet. Nachdem die Kirche im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, überließ ihre Gemeinde das Grabmal der Alten Nationalgalerie als Dauerleihgabe. Ein paar Leute mit Kopfhörern stehen, Mund offen, Kopf im Nacken, davor und hören zu, was der Audioguide zu sagen hat.
Der Mönch am Meer, den ich hier oben im Caspar-David-Friedrich-Raum partout nicht finden kann, wird, so sagt mir ein Aufseher, zusammen mit der Abtei im Eichwald gerade restauriert. Da kann ich ja lange suchen! Eigentlich hätten die beiden im April 2015 zurück sein sollen, aber wie es eben immer so ist… Bleibt umso mehr Zeit für die anderen „Friedrichs“ – die Klosterruine Eldena bei Greifswald, Waldinneres bei Mondschein, Zwei Männer am Meer, Mann und Frau den Mond betrachtend, um nur einige zu nennen – sowie die ähnlich dunkelromantischen Landschaften Arnold Böcklins.
Eine Etage tiefer betritt man durch eine gewaltige Flügeltür zunächst eine kuppelüberwölbte Rotunde. Von den hier ansässigen Marmor-Skulpturen mag ich besonders Pan tröstet Psyche und die Susanna, beide geschaffen vom Berliner Bildhauer Reinhold Begas. Hinter der Rotunde dann endlich die französischen Impressionisten. Neben den Gemälden Monets, Pissarros und Renoirs beeindrucken mich am meisten zwei Skulpturen Auguste Rodins: eine vergleichsweise kleine Bronze-Ausgabe seines berühmten Denkers und ganz besonders der strahlend weiße Marmorblock, aus dem scheinbar naturgewollt zwei Körper wachsen, ein männlicher und ein weiblicher, die sich in derart spannungsgeladener Pose nähern, dass man meint, das Knistern zwischen ihnen hören zu können. Der Mensch und sein Gedanke – einen passenderen Titel hätte Rodin wirklich nicht finden können. Wer hätte gedacht, dass in einem Marmorblock so viel Leben steckt, wenn nur ein Rodin kommt und es mit seiner Kraft herausschlägt?
Unten angekommen, warten auf den Besucher jede Menge klassizistischer Skulpturen in einer glanzvollen Säulenhalle, durch die man nicht anders als wandeln kann. Gleich beim Eintreten wird man von der berühmten Schadow’schen Prinzessinnengruppe empfangen, rechts und links von ihr reihen sich diverse Marmorstatuen in blütenreinem Weiß, einige von ihnen haben enorme Engelsflügel. Neben den preußischen Prinzessinnen dürften wohl Amor und Psyche von Reinhold Begas die Stars der Skulpturenhalle sein.
In weiteren Räumen: Lovis Corinth, Max Beckmann, Franz von Stuck, Gustave Courbet und andere – sowie ein eigenes Labyrinth an fertigen und unfertigen Historiengemälden des Malers, Zeichners, Illustrators und Wahl-Berliners Adolph Menzel, der zeitweilig eine Professur der Königlichen Academie der Künste innehatte. Mein persönliches Highlight hier unten ist Der Artist, 1907 von Arthur Kampf geschaffen. Wie dieser Mann überlebensgroß und stolz das Erdgeschoss der Berliner Alten Nationalgalerie ziert, wirkt es wie ein stilles, selbstbewusstes Bekenntnis.
Die Museumsinsel mit der Alten Nationalgalerie und vielen weiteren Sehenswürdigkeiten erreicht man auch mit einer Stadtrundfahrt durch Berlin. Einfach an der Haltestelle Lustgarten / Humboldt-Box aussteigen und nach dem Museumsbesuch die Fahrt wieder aufnehmen.
Di bis Sonntag: 10:00 – 18:00 Uhr
Do 10:00 – 20:00 Uhr
Museumsinsel alle Ausstellungen 18,00 EUR; ermäßigt 9,00